Samstag, 21. November 2015

Aufkeimende Hoffnung

Zum wiederholten Male lese ich die Dubliner und bin begeistert. Es ist alles vertraut und doch neu, genauso als würde man eine langjährige Freundin wieder treffen. Und während man durch den Nieselregen spaziert und plaudert, stellt man fest, dass die Freundschaft noch inniger werden kann, dass die Jahre einen nicht entfremdet haben, sondern im Gegenteil: man versteht sich sogar besser.

Wie es meiner Gewohnheit entspricht zitiere ich gern einen für mich wichtigen Auszug aus dem eben gelesenen Text: Konnte er etwas Originelles schreiben? Er war nicht sicher, welche Idee er auszudrücken wünschte, doch der Gedanke, daß ein poetischer Augenblick ihn gestreift hatte, erwachte in ihm zum Leben wie eine aufkeimende Hoffnung. Tapfer schritt er voran... Er versuchte seine Seele zu wägen, um zu sehen, ob sie eine Dichterseele war. Melancholie war der Grundton seines Charakters, dachte er, doch es war eine Melancholie, die durch wiederkehrende Phasen des Glaubens und der Resignation und einfacher Freude gemildert war. Wenn es ihm gelang, sie in einem Gedichtband zum Ausdruck zu bringen, würde die Menschheit vielleicht aufhorchen. Populär würde er nie sein: das war ihm klar. Die Menge konnte er nicht entflammen, aber vielleicht fände er in einem kleinen Kreis verwandter Geister Anklang.

In diesem Textabschnitt spricht der Autor beinahe selbst. JJ erinnert sich vielleicht an den Werdegang, seinen Werdegang als Künstler mit all den Zweifeln und Träumen. Und er ahnte wohl immer, dass es ein schwerer Weg werden würde. Und so kam es auch. Allein für die Veröffentlichung der Dubliner, entstanden 1904-1907, benötigte er sieben Jahre. Zehn Jahre harte Arbeit. JJ sagte, dass vierzig Verlage sein Manuskript abgelehnt hätten.

Die gute Nachricht: Ellmann hat recht, wenn er meint, dass sich Joyce nicht mit Chandler identifiziert. Ich selber war erst dieser Meinung, sehe es jetzt aber kritischer. Denn der Autor Chandler bleibt ein Traum, der sofort und sehr wahrscheinlich für immer verdrängt wird durch das ganz normale, alltägliche Leben. Es kommt nicht zur Geburt des Autors (was ich erst dachte). Der Anflug von Größenwahn und Schöpferkraft geht (leider) vorbei, ohne dass eine einzige Zeile geschrieben worden wäre.    

zitiert aus: "Eine kleine Wolke" von James Joyce, Dubliner , SV, 74.

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